… meint der Wiener Landesgremialobmann Andreas Schiefer zum „Tag der Menschen mit Behinderung“.
Am 3. Dezember rücken jährlich die Rechte und Anliegen von Menschen mit Behinderung in den Fokus. Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung wurde ins Leben gerufen, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu schärfen. Die weltweite Kampagne #PurpleLightUp setzt gleichzeitig ein starkes Zeichen für die ökonomische Selbstbestimmung und wirtschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Jährlich werden daher rund um den 3. Dezember Werbemaßnahmen, Gebäude und öffentliche Einrichtungen in lila Licht gefärbt. Diese Maßnahme soll nicht nur Aufmerksamkeit erregen, sondern vor allem verdeutlichen, dass die wirtschaftliche Integration von Menschen mit Behinderungen ein zentrales Anliegen ist.
Täglich gelebte Praxis
Für die österreichischen Trafiken sind Inklusion, Chancengleichheit und Miteinander alltägliche Normalität – und das seit fast 240 Jahren. Doch wie erleben die Trafikanten selbst dieses Thema? Wir haben den Wiener Landesgremialobmann Andreas Schiefer – selbst seit 28 Jahren Trafikant – dazu befragt.
Können Sie uns zu Beginn erzählen, wie Sie dazu gekommen sind, Trafikant zu werden?
Ich bin nun seit fast 28 Jahren Trafikant. Auch wenn man es äußerlich nicht sieht, habe ich einen Behinderungsgrad von 70%. Aufgrund dessen war ich für den Arbeitsmarkt nicht mehr attraktiv. Trotz guter Qualifikationen wollte mich niemand einstellen. Dann hat mir jemand geraten, eine Trafik zu übernehmen, da hier mindestens 50% Behinderungsgrad erforderlich ist. Das war sozusagen meine Chance.
Sie haben nun schon drei Trafiken unterschiedlicher Größe geführt. Können Sie uns etwas über Ihre Erfahrungen berichten, insbesondere bezüglich der Arbeitsbelastung?
Ich begann mit einer kleinen, umsatzschwachen Trafik. Die Arbeit war intensiv, mit vielen Handgriffen und vor allem viel administrativer Arbeit verbunden. Die ersten fünf Jahre führte ich diese Trafik allein. Hilfe bekam ich von meiner Familie und einer 10-Stunden-Kraft. Allerdings stieß ich schnell an meine Grenzen und ich merkte, dass kleine umsatzschwache Trafiken kein Allheilmittel für Menschen mit Behinderung sind. 60-70 Arbeitsstunden pro Woche hält man mit einer körperlichen Beeinträchtigung auf Dauer nicht durch. Hinzu kommt, dass das durchschnittliche Einstiegsalter zwischen 35 und 45 Jahren ist. Ich kenne kaum einen Menschen mit Behinderung, bei dem die Behinderung mit steigendem Alter besser wird.
Wie könnte die Arbeitsplatzsituation für Menschen mit Behinderungen in der Trafikanten-Branche verbessert werden?
Ich habe schon sehr lange eine Forderung: Jede Trafik sollte sich mindestens einen Angestellten leisten können. Menschen mit Behinderung dürfen nicht mehr arbeiten müssen als Angestellte. Eine Lebensaufgabe ist schön, aber die Frage ist immer: Mit welcher Qualität?
Auch die Ausbildung gehört angepasst. Angehenden Trafikanten gehört mehr die Chance gegeben, dass sie in Trafiken zuerst mitarbeiten und sich das länger anschauen. Ideal wäre es, wenn sie 2 Monate im Betrieb sind, den täglichen Ablauf durchgehen und auch alle Sorgen und Ängste, wie beispielsweise „Ist genug Geld am Konto, für die nächsten Abbuchungen?“.
Ganz wichtig ist es, dass man eine gewisse wirtschaftliche Tauglichkeit von den Menschen mit Behinderungen abverlangt. Denn es ist nicht jeder dazu geeignet, Trafikant zu sein. Da wäre es nur fair, klarzumachen was es bedeutet, Trafikant zu sein. Denn nach zwei bis drei Jahren kommt man drauf, dass es ein beinharter Knochenjob ist. Das gehört auch gesagt.
Sie sprechen von der Forderung, dass sich jede Trafik mindestens einen Angestellten leisten können sollte. Was erwarten Sie von Institutionen und der Politik, um dies zu ermöglichen?
Ich wünsche mir eine gute Strukturpolitik, die sicherstellt, dass jede Trafik lebensfähig ist und sich einen Angestellten leisten kann. Eine einfache Rechnung: Ein Angestellter plus prozentual ein Angestellter für den Behinderungsgrad. In meinem Fall wären das 1,7 Mitarbeiter. Wie schafft man das? Indem man die Entwicklung der Standorte beobachtet. Man muss mehr schauen, wie sich die Umgebung verändert: werden Straßenbahn-Stationen verlegt, wo kommt eine U-Bahn hin etc. Das wäre die Aufgabe von der MVG, gemeinsam mit der WKO.
Was halten Sie vom Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung bzw. von der #PurpleLightUp Bewegung?
Davon halte ich gar nichts. Inklusion ist kein Trend, der sich vermarkten lässt. Viele Unternehmen und wichtige Personen engagieren sich an diesem Tag, um dann am nächsten Tag alles zu vergessen. Die üblichen Maßnahmen an diesem Tag, wie etwa den Stephansdom lila zu färben, helfen uns nicht wirklich. Unterstützung sollte meiner Meinung nach nicht auf einen Tag im Jahr beschränkt, sondern 365 Tage im Jahr verfügbar sein.
Gleichzeitig ist es wichtig, zu evaluieren, wie es den Trafikanten nach 5 oder 10 Jahren geht. Wenn es jemandem nicht gut geht, sollten wir uns die Frage stellen, wo und wie wir unterstützen können. Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Mein Appell richtet sich an alle Institutionen, die sich am Tag der Menschen mit Behinderungen zu diesem Thema äußern: Engagiert euch, geht in die Politik, tut mehr. Fragt die Menschen, wie es ihnen wirklich geht, auch anonym, wenn sie sich nicht öffentlich äußern wollen.