Was tun, wenn man in Pension gehen will, die Monopolverwaltung das Fachgeschäft aber nicht ausschreibt? Ein derartiger Fall ist nun vor Gericht gelandet.
Robert Ruthner will seine Trafik ausschreiben lassen. Das Geschäft, das er sich im 11. Bezirk aufgebaut hat, ist höchst erfolgreich – auch und gerade mit Nebenartikeln. Bevor er sich im März 2023 an die MVG wandte wollte der Trafikant wissen, was sein Geschäft wert ist und beauftragte für ein Gutachten Prof. Romuald Bertl, den Entwickler der „Ablöse neu“.
- Tagsatzung am Handelsgericht Wien
Inzwischen ist Ruthner Kläger und die MVG der Beklagte in einem Verfahren vor dem Handelsgericht, weil die Trafik immer noch nicht ausgeschrieben wurde. Am 22. Jänner 2024 fand die erste Gerichtsverhandlung im Beisein aller Branchenmedien sowie des zuständigen Landesgremialobmanns Andreas Schiefer statt.
Aus Sicht der MVG – vertreten durch die Finanzprokuratur – kann das Privatgutachten nicht als Wertgutachten anerkannt werden, weil es nicht (wie von der Vergabeordnung vorgesehen) durch die MVG beauftragt wurde. Die drei Branchengutachter haben aber schon im Vorjahr abgesagt. Also verschanzt man sich hinter der Vergabeordnung und behauptet, der Kläger hätte nicht alle Unterlagen beigebracht.
Der Trafikant – vertreten durch den bekannten Anwalt und Verfassungsrichter Dr. Michael Rami –wiederum fühlt sich verschaukelt, weil der nun von der Monopolverwaltung beauftragte externe Gutachter ständig weitere Auswertungen und Daten weit über das in der Vergabeordnung vorgesehene Maß anfordert, die er auch jeweils zeitnahe erhalten hat. Und weil er branchenfremd ist, soll er von den drei Branchengutachtern – welche die Erstellung eigener Gutachten ja abgelehnt haben – beraten werden. Doch noch immer liegt kein Gutachten vor.
Im Detail
Das Bertl-Privatgutachten zum Stichtag 28. 2. 2023 wurde von der MVG nicht anerkannt. Stattdessen wurden eine Prognoserechnung sowie eine Saldenliste (beides in der Vergabeordnung nicht vorgesehen) mit 30. Juni 2023 angefordert, die im August übermittelt wurden. Beides erhöht den Firmenwert – einmal in das Bertl-Gutachten eingearbeitet – jedoch weiter signifikant. Dies wird von der Finanzprokuratur als unrealistisch eingestuft.
Nun versucht der beauftragte Gutachter offensichtlich, Fehler im Bertl-Wertgutachten zu finden, statt selbst eines zu erstellen. Und das seit August 2023; denn andernfalls müsste es längst fertig sein.
Dazu stellen sich einige Fragen:
- Kann es Aufgabe eines Gutachters sein, in der Arbeit eines äußerst renommierten Kollegen auf „Fehlersuche“ zu gehen?
- Wie lange hat er für diesen Versuch Zeit? Dürfen Gutachter und MVG die Erstellung eines Wertgutachtens unter ständiger Nachforderung weiterer Unterlagen schrittweise auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben?
- Ab wann wird die Nicht-Ausschreibung einer Trafik, welche die Voraussetzungen dafür erfüllt, als Säumigkeit der MVG eingestuft?
Mögliche Hintergründe
Sehr frequenz- und umsatzstarke Trafiken mit brummendem Nebenartikelgeschäft sind typische Kandidaten für hohe sechs- und auch siebenstellige Ablösen nach den korrekt angewandten Berechnungsprinzipien der „Ablöse neu“. Dabei geht es derzeit noch in ganz Österreich um eine Handvoll Geschäfte, deren Zahl dank steigender Zahlen von Öffi-Nutzern aber gerade an Verkehrsknotenpunkten zunimmt.
Steigende hohe Ablösesummen für Tabakfachgeschäfte sind aber offensichtlich nicht im Sinne der MVG. Impliziert die wiederholte Aussage, die MVG wolle die Voraussetzungen für lebensfähige Geschäfte schaffen, gleichzeitig den Gedanken an einen „Gehaltsdeckel“? Muss man die Aussage im Facebook-Beitrag der MVG auf ihrer eigenen Seite „Wir schauen uns aber auch an, ob bei sehr großen Trafiken eine bessere Verteilung des Umsatzes in der Region möglich ist.“ nicht als genau dies verstehen – als ein „ja, schon gut leben können, aber nicht sooo gut“? Sollen die Erfolgreichen jetzt bestraft werden und Ruthner ist das zu statuierende Exempel? Und wo bliebe bei Umsetzung solcher Ideen der Gebietsschutz?
Drei Fragen an Rechtsanwalt Dr. Michael Rami
Kann das Handelsgericht der MVG einen Termin für die Erstellung eines Wertgutachtens sowie die Ausschreibung setzen? Falls ja, welche Fristen sind hier üblich?
Wir vertreten den Standpunkt, dass die MVG mit der Erstellung des Gutachtens säumig ist. Wir begehren daher in unserer Klage ein Urteil, mit dem der MVG aufgetragen wird, die öffentliche Ausschreibung der Tabaktrafik von Herrn Ruthner vorzunehmen. Wenn das Gericht unserer Klage stattgibt, wird es der MVG aller Voraussicht nach eine Frist dafür von 14 Tagen setzen. Bis zum Urteil wird es aber noch dauern. Abgesehen davon können Urteile auch mit Berufung angefochten werden.
Wie wichtig ist in der Argumentation der MVG/Finanzprokuratur die Vergabeordnung? Ist dies nicht ein Regelwerk, welches sich die MVG „selbst geschrieben hat“?
Die Ablöse- und Verfahrensordnung stammt in der Tat von der MVG; Herr Ruthner hatte auf deren Inhalt keinen Einfluss.
Sowohl die MVG als auch Herr Ruthner stützen sich auf die Ablöse- und Verfahrensordnung. Der wesentliche Streitpunkt ist, ob die MVG mit der Ausschreibung der Tabaktrafik von Herrn Ruthner säumig ist.
Wie kann das Gericht auf die Streitfrage rund um die Gutachter reagieren? Dem externen Gutachter fehlt die Branchenerfahrung, Prof. Bertl wird von der MVG nicht akzeptiert werden …
Prof. Bertl ist unseres Erachtens der beste Experte auf diesem Gebiet; er hat auch das Rahmengutachten für die MVG erstellt. Wir haben aber, um die Sache zu beschleunigen, dem Gericht drei weitere unabhängige Experten (allesamt Universitätsprofessoren) genannt.
Stellungnahme der MVG
• Die Ablöse- und Verfahrensordnung sieht vor, dass für die Bewertung einer Trafik ein Bewertungsgutachten von der MVG einzuholen ist.
• Das bezahlte Privatgutachten von Herrn R. darf die MVG zum Schutz der Neutrafikant*innen nicht akzeptieren – es gilt nicht als unabhängig.
• Der Vergabe-Prozess der MVG regelt, dass einer der drei eingearbeiteten Trafikgutachter eine Bewertung vornimmt. Nach der Kündigung des Konzessionsvertrags durch Herrn R. am 14.03.2023 vergibt die MVG am 15.03.2023 den Auftrag zur Bewertung.
• Anfang April legt der Trafikgutachter – nach Sichtung der Unterlagen – den Bewertungs-Auftrag der MVG für die Trafik von Herrn R. zurück. Auch die anderen beiden Trafikgutachter lehnen in Folge eine Beauftragung ab.
• Es folgen unmittelbar Vermittlungsversuche der MVG zwischen Privatgutachter, Trafikgutachter und Herrn R., die Ende Mai endgültig scheitern.
• Am 01.06.2023 wird mit MMag. Dr. Konezny – einem renommierten Bewertungsexperten – Kontakt aufgenommen und diesem am 21.06.2023 der Auftrag zur Begutachtung der Trafik von Herrn R. erteilt.
• Verzögert wird die Arbeit in Folge dadurch, dass Herr R. im August 2023 (drei Monate nach dem ersten Privatgutachten) ein zweites Privatgutachten vorlegt. Dieses Gutachten kommt im Vergleich zum ersten Privatgutachten zu einer um EUR 1 Mio. höheren Bewertung.
•Somit wird es erforderlich, dass sich der von der MVG beauftragte Gutachter Dr. Konezny mit dem zweiten Privatgutachten auseinandersetzt und fordert dazu von Herrn R. ergänzende Unterlagen an – was verweigert wird.
•09.11.2023: Herr R. klagt die MVG.
•Davon unabhängig setzt der MVG-Gutachter seine Arbeit fort und fordert erneut die ergänzenden Informationen an, die bis dato (25.01.2024) nicht bereitgestellt werden.
•Aus diesem Grund konnte das Gutachten von MMag. Dr. Konezny derzeit nicht finalisiert werden.
•Am 22.01.2024 findet die erste Tagsatzung statt. Die MVG ist durch die Finanzprokuratur vertreten. Der Vorschlag der klagenden Partei, seitens Gerichts einen Gutachter zu bestellen, wird vom Gericht abgelehnt. Der Richter hält fest, dass Gutachter für Trafikbewertungen von der MVG zu bestellen sind und bestätigt somit, dass die beiden Privatgutachten nicht anwendbar sind.
•Der Anwalt von Herrn R. bringt den Vorschlag ein, einen neuen externen Gutachter zu beauftragen und nennt dazu drei konkrete Namen.
•Dieser Vorschlag wird seitens der Finanzprokuratur entgegengenommen, aber inhaltlich nicht kommentiert.